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Politischer Zank über Langzeitarbeitslose findet kein Ende

Freitag, März 6th, 2009

Die Betreuung der Hartz-IV-Empfänger muss neu geregelt werden, doch Union und SPD streiten weiter – Die Interessen der Betroffenen geraten unter die Räder
Für Bernhard Matheis ist die Sache klar. Der Oberbürgermeister von Pirmasens findet, dass Hartz IV in seiner Stadt funktioniert: Ein “hervorragendes Modell” sei das, schwärmt der Oberbürgermeister. In Pirmasens kümmern sich Kommune und Arbeitsagentur in einer Arbeitsgemeinschaft mit 35 Mitarbeitern gemeinsam um die Langzeitarbeitslosen.

Matheis kennt sich aus. Mit 14,5 Prozent hat Pirmasens eine der höchsten Arbeitslosenquoten im Westen der Republik. Die kleine Stadt in der Pfalz wurde vom Niedergang der Schuhindustrie und dem Abzug der amerikanischen Truppen in den 90er-Jahren gebeutelt. “Bei uns hat sich die Zusammenarbeit bewährt”, sagt Matheis über die Kooperation von Stadt und Arbeitsagentur. Er spricht von einem eingeschworenen Team, das nur ein Ziel kennt: die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Jede Seite bringe unterschiedliche Kompetenzen ein. Die Sozialarbeiter der Kommunen wüssten, wie es in den betroffenen Familien ausschaue. Die Mitarbeiter des Arbeitsamtes wüssten, welche Jobs frei seien und was die Arbeitgeber suchten. Von einer “Ideallösung” spricht der Lokalpolitiker aus der Pfalz.

Doch das Modell, das in Pirmasens so hervorragend funktioniert, steht auf der Kippe. Die Mischverwaltung aus Arbeitsagentur und Kommune ist nicht verfassungskonform und muss spätestens bis Ende 2010 reformiert werden. Ein Vorschlag aus dem Arbeitsministerium von Olaf Scholz (SPD), das Modell weiterzuführen, scheiterte am Votum der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Matheis versteht seine Parteikollegen in Berlin nicht mehr. “Hier geht es doch um Menschen und ihre Chance auf eine Integration in den Arbeitsmarkt.”

In der Koalitionsrunde von Union und SPD in der Nacht zu Donnerstag gab es keine Einigung. Notfalls könne die Frage ja auch nach der Bundestagswahl geregelt werden, sagte der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer nach den fruchtlosen Beratungen im Kanzleramt.

Auch vier Jahre nach der größten Sozialreform der deutschen Nachkriegsgeschichte streiten Union und SPD weiter über Zuständigkeiten und Organisationsfragen bei Hartz IV. Die Frage, wie den langzeitarbeitslosen Menschen und ihren Familien besser geholfen werden kann, droht dabei in Vergessenheit zu geraten. Dabei war doch gerade dies das große Ziel der Reform: Die Arbeitslosen sollten besser betreut und schneller wieder in Lohn und Brot gebracht werden. Stattdessen schuf die Politik eine Sozialbürokratie, die sich mehr mit sich selbst als mit ihren Kunden beschäftigt.

Schon bei der Ausarbeitung der Reform ging es den Politikern aller Couleur mehr um Einfluss und Milliarden und weniger um die Interessen der Arbeitslosen. Einig war man sich nur darüber, dass Sozial- und Arbeitslosenhilfe-Empfänger von einer einzigen Institution betreut werden sollten. Doch von wem? Von den Sozialämtern der Kommunen, die sich bislang um die Sozialhilfe-Empfänger gekümmert hatten? Oder von den Arbeitsämtern, die für den Bund zusätzlich zu den Arbeitslosengeld- auch die Arbeitslosenhilfe-Empfänger betreut hatten?

In der entscheidenden Nachtsitzung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag im Dezember 2003 einigte man sich auf einen politischen Kompromiss, unter dem Hartz IV bis heute leidet. Sollen es doch beide machen – nach dieser Devise sollten Arbeits- und Sozialämter gemeinsame Arbeitsgemeinschaften, auch Jobcenter genannt, gründen. Zusätzlich drückte die Union die Option durch, dass Kommunen auch allein die Arbeitslosen betreuen können. Diese “Experimentierklausel” wurde allerdings auf 69 Optionskommunen beschränkt.

Im Dezember 2007 machten Verfassungsrichter den Politikern einen Strich durch die Rechnung. Die Mischverwaltung verstoße gegen das Grundgesetz, das klare Kompetenzen vorsieht. “Mangelnde politische Einigungsfähigkeit kann keinen Kompromiss rechtfertigen, der mit der Verfassung nicht vereinbar ist”, schrieben die Richter in der Begründung ihres Urteils. Damit brach der alte Richtungsstreit, der nie ganz von der politischen Bühne verschwunden war, wieder aus.

Die SPD mit Bundesarbeitsminister Olaf Scholz an der Spitze kämpft für den Erhalt des Status Quo – obwohl ein von seinem Ministerium in Auftrag gegebener Evaluationsbericht ergab, dass die “Zwitterstellung” der Mischverwaltungen “die Durchleitung von Weisungen an das Personal” erschwere und zu einer “gewissen Schwerfälligkeit der Administration” führe.

Die 349 Arbeitsgemeinschaften sollen Scholz zufolge einfach in “Zentren für Arbeit und Grundsicherung” (ZAG) umbenannt werden. Statt die verfassungswidrige Mischverwaltung zu ändern, will Scholz lieber die Verfassung ändern. Diesen Plan stimmte er mit den Bundesländern ab. Doch die Unionsfraktion im Bundestag spielte nicht mit. “Was da vorliegt, ist ein Bürokratiemonster”, sagte Fraktionschef Volker Kauder. Es mute merkwürdig an, wenn die Verfassung geändert werde und nicht die gemischte Zuständigkeit, kritisierte der parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen.

Auch die Arbeitgeber schossen sich auf Scholz’ Vorschlag ein: “Die derzeitige Mischverwaltung wird als gesetzlich organisierte Verantwortungslosigkeit zementiert”, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Die Politik müsse Klarheit schaffen. Selbst Gewerkschafter halten nichts von dem Vorschlag. Die geplante Umwandlung der Jobcenter bringe Leistungsempfängern “überhaupt nichts” und Beschäftigten in den Jobcentern nur Verschlechterungen, kritisierte Ver.di. Die neuen Entscheidungsstrukturen seien “unübersichtlich und intransparent”.

Politiker, Gewerkschaften und Arbeitgeber streiten derzeit ausschließlich um Organisationsfragen. “Darum, was den Leistungsempfängern zugute kommt und wie man ihnen am effizientesten hilft, geht es in der aktuellen Debatte offenbar nicht”, sagt Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA).

Abseits der Frage, ob die Kommunen oder die Arbeitsagentur das Sagen haben, wird so getan, als sei alles in Ordnung. Dabei läuft die Betreuung der Langzeitarbeitslosen alles andere als optimal. Der Bundesrechnungshof bemängelte im Sommer 2008, die Betreuung und Vermittlung von Hilfebedürftigen sei insgesamt im Hartz-IV-System nicht zufriedenstellend. Hartz-IV-Empfänger warteten im Durchschnitt neun Wochen “vom Leistungsbeginn an auf ein qualifiziertes Erstgespräch bei einer Vermittlungskraft”, kritisierten die Prüfer. Bis zur Vorlage einer schriftlichen Vereinbarung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt vergingen durchschnittlich 16 Wochen. In jedem dritten Fall seien gar keine Eingliederungsvereinbarungen geschlossen worden.

Die Zahlen belegen, dass die Reform den Langzeitarbeitslosen und ihren Familien bisher nicht wirklich zugute kam: Heute gibt es 6,7 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld II – das sind mehr Hartz-IV-Empfänger als Anfang 2005, als das neue Gesetz in Kraft trat.

Quelle: welt.de – 6. März 2009 – Von Stefan Von Borstel Und Flora Wisdorff
Link zum Pressebericht: www .welt.de/welt_print/article3327230/Politischer-Zank-ueber-Langzeitarbeitslose-findet-kein-Ende.html

B 4 AS 47/08 R – Abfindungen aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleich sind zu berücksichtigendes Einkommen

Donnerstag, März 5th, 2009

Der 4. Senat des BSG hat entschieden, dass die in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung beim Alg II als Einkommen leistungsmindernd zu berücksichtigen ist. Der Grundsicherungsträger durfte die Abfindungsteilzahlungen bei der Berechnung des Alg II des Klägers als Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat im SGB II – anders als noch bei dem bis Ende 2004 für die Arbeitslosenhilfe geltende Recht – bewusst darauf verzichtet, Abfindungszahlungen zu privilegieren und sie bei der Ermittlung des Bedarfs von der Anrechnung als Einkommen auszunehmen.
Der Kläger übte bis Juni 2003 eine Beschäftigung aus. Seither ist er arbeitslos. Im Kündigungsschutzprozess gegen seinen früheren Arbeitgeber schloss er mit diesem vor dem Arbeitsgericht im April 2005 einen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Arbeitgeber, ihm eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 6.500 Euro zu zahlen. Auf den titulierten Abfindungsanspruch zahlte der Arbeitgeber erst im Oktober und November 2006 Beträge über 1.750 Euro und 2.000 Euro, nachdem der Kläger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet hatte. Abfindungszahlungen fallen auch nicht unter die im SGB II berücksichtigungsfrei gestellten „zweckbestimmten Leistungen“. Das BSG versteht darunter Bestimmungen über den gesetzlichen oder privatrechtlichen Verwendungszweck. An einem solchen besonderen Verwendungszweck fehlt es bei Abfindungen. Der Arbeitgeber zahlt die Abfindung, weil der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verloren hat und sich der Arbeitgeber zur Abfindungszahlung verpflichtet hat. Dem Arbeitgeber ist es aber gleichgültig, wie der Empfänger die Zahlung verwendet. (Entsch. v. 3. 3. 2009 – B 4 AS 47/08 R)

Quelle: Medieninformation des BSG Nr. 9 v. 3.3. 2009
Link zum Pressenericht: rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=276994&docClass=NEWS&site=NJW&from=njw.root

Arbeitslosengeld II schafft Jobs für immer mehr Richter

Montag, Januar 19th, 2009

Berlin – Wegen der gigantischen Klagewelle im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Unterstützung muss Berlin immer neue Richter für das Sozialgericht einstellen. Ihre Zahl wuchs seit Start der Reform 2005 von 59 auf 103, wie das Gericht am Freitag mitteilte. Inzwischen ist die Zahl der Verfahren im Zusammenhang mit Hartz IV auf knapp 60.000 angeschwollen.

Die Erfolgsquote der Kläger gegen Entscheidungen der Jobcenter ist dabei überdurchschnittlich hoch, wie das Gericht weiter mitteilte. In fast jedem zweiten Fall (48 Prozent) beanstandet das Gericht die Bescheide, während bei anderen Verfahren des Sozialgerichts nur rund ein Drittel der Kläger Erfolg haben.

Gestritten wird nach Angaben des Gerichts besonders häufig über die Kosten der Unterkunft. Dabei gehe es darum, ob eine Wohnung nicht zu groß oder die Miete nicht zu hoch ist. Ebenfalls häufig umstritten ist laut Gericht die Anrechnung von Vermögen. Auch die Anordnung von Sanktionen, weil ein Hartz-IV-Empfänger aus Sicht der Behörde seine Pflichten verletzt hat, beschäftigt oft die Richter.

Diese schieben inzwischen nach Angaben des Gerichts einen Berg von Verfahren vor sich her, der dem Arbeitspensum aller Hartz-IV-Richter für ein volles Jahr entspricht. Der «Bestand» an Hartz-IV-Fällen sei 2008 um 4.500 auf 15.500 gewachsen.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 33.500 neue Verfahren eingereicht und 29.000 abgearbeitet. Zwei Drittel der eingereichten Klagen bezogen sich auf Hartz IV, nämlich 21.500 Fälle. Vor der Reform, bei der Sozialhilfe für Erwerbsfähige und die Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt wurden, mussten sich die Richter nur mit insgesamt 6.500 Fällen aus beiden Themenkreisen auseinandersetzen. Seitdem stieg die Zahl der Klagen jedes Jahr weiter drastisch an, wie aus der Statistik des Gerichts hervorgeht. Das Sozialgericht Berlin ist das größte in Deutschland.

Quelle: net-tribune.de – 16. Januar 2009
Link zum Pressebericht: www .net-tribune.de/article/160109-205.php