Rechnungshof rechnet mit Ein-Euro-Jobs ab

Verheerendes Zeugnis für Jobcenter: Reguläre Arbeitsplätze werden verdrängt, Alternativen für Betroffene nicht geprüft.

Sie putzen Altenheime und kochen in Kindergärten, sie schneiden Hecken und legen Feuchtbiotope an, sie arbeiten als Hausmeister, Sozialarbeiter und Bürokraft: Rund 750.000 Hartz-IV-Empfänger beginnen jedes Jahr eine Arbeitsgelegenheit. Damit sollen sie nach langen Zeiten der Arbeitslosigkeit wieder an die Arbeitswelt herangeführt werden. Zusätzlich zum Regelsatz gibt es einen oder zwei Euro pro Stunde dazu. Eigentlich sollten die Ein-Euro-Jobs im öffentlichen Interesse und „zusätzlich“ sein, damit reguläre Arbeitsplätze nicht verdrängt werden. Doch das ist nur graue Theorie.

In der Praxis werden Ein-Euro-Jobs von den Kommunen in großem Stil genutzt, „ihren – meist auf ein Minimum reduzierten – regulären Personalkörper zu ergänzen, um ihre Aufgaben trotz einer oftmals schwierigen Haushaltslage in gewohntem Umfang erfüllen zu können“. So steht es in einem aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofes. In 62 Prozent der untersuchten Fälle lagen die Fördervoraussetzungen damit gar nicht vor. Zudem verdränge öffentlich geförderte Beschäftigung reguläre Tätigkeiten, stellten die Prüfer fest.

Das eigentliche Ziel des Arbeitsmarktinstruments kommt dabei zu kurz: „Arbeitsgelegenheiten werden so zu einem Finanzierungsinstrument für unterschiedliche föderale Ebenen und dienen nicht mehr vorrangig der Integration erwerbsfähiger Hilfebedürftiger.“ Den Jobcentern warfen die Prüfer vor, die Hartz-IV-Empfänger „meist wahllos“ in Arbeitsgelegenheiten zu vermitteln. In 40 Prozent der Fälle fehle eine Eingliederungsstrategie, in 29 Prozent werde gar nicht geprüft, ob es eine Alternative zu dem Ein-Euro-Job – etwa eine Fortbildung – gegeben hätte.

Der Bundesrechnungshof hat die Praxis der Jobcenter mit den Ein-Euro-Jobs in den letzten fünf Jahren mehrmals geprüft – und immer wieder scharf kritisiert. Die „Qualität der Aufgabenerledigung“, so monieren die Prüfer auch in dem aktuellen Bericht, habe sich seit dem Jahr 2005 nicht merklich verbessert. Der Rechnungshof untersuchte insgesamt 249 Maßnahmen mit 6200 Teilnehmerplätzen in acht verschiedenen Jobcentern. Der Bericht wurde dem Arbeitsministerium mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt. Nun warte man auf Antwort, sagte ein Sprecher des Rechnungshofes.

Eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg erklärte auf Anfrage, man gehe jedem benannten Einzelfall nach, um die beschriebenen Mängel für die Zukunft auszuschließen. Die Behörde habe allerdings die Weisungen zum Umsetzen von Arbeitsgelegenheiten bereits 2009 präzisiert und weitere Qualitätssicherungsmaßnahmen eingeleitet. So wurden zum Beispiel im Juni 2010 Mindestanforderungen an ein funktionsfähiges Kontrollsystem festgelegt, an die sich die Jobcenter bundesweit halten müssen.

Die Ein-Euro-Jobs, die 2005 mit der Hartz-IV-Reform eingeführt wurden, stehen schon lange in der Kritik. Arbeitsmarktexperten und Gewerkschafter bezweifeln, dass sie den Arbeitslosen den Weg in eine reguläre Beschäftigung ebnen. Und die Wirtschaft, vor allem das Handwerk, fürchtet die Ein-Euro-Jobber als billige Konkurrenz. Die Kritiker sahen sich nun durch den Bericht des Rechnungshofes bestätigt.

Der DGB forderte, die Ein-Euro-Jobs entscheidend zurückzufahren und nur noch – auf freiwilliger Basis – anzubieten, wenn Langzeitarbeitslose im Einzelfall erst an Arbeit herangeführt werden müssen. „Im öffentlichen Dienst müssen grundsätzlich reguläre Arbeitsplätze eingerichtet werden“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. „Ergänzend sollte für schwierig zu vermittelnde Personen öffentlich geförderte Beschäftigung angeboten werden.“

Eine Abschaffung der Ein-Euro-Jobs forderte Handwerkspräsident Otto Kentzler. „Geförderte Arbeit konkurriert mit regulär arbeitenden Unternehmen und schafft damit mehr Arbeitslosigkeit“, sagte Kentzler WELT ONLINE. „Immer wieder werden Ein-Euro-Jobs zur Durchführung handwerklicher Tätigkeiten genutzt – auch wenn dies eigentlich verboten ist“, klagte er. So entgingen dem Handwerk Aufträge und Arbeit. „In Zeiten eines sich verschärfenden Fachkräftemangels muss der jahrzehntelange Irrweg, Langzeitarbeitslosigkeit mit künstlicher Beschäftigung bekämpfen zu wollen, endlich verlassen werden“, forderte der Handwerkspräsident.

Kritik kam auch aus der Opposition. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, sagte, Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen müsse nun Position beziehen. Sie dürfe dem massenhaften Einsatz von Ein-Euro-Jobs nicht länger tatenlos zusehen. „Dieser arbeitsmarktpolitische Fehlschlag versenkt jedes Jahr über eine Milliarde Euro, ohne dass den Arbeitsuchenden damit geholfen wäre“, argumentierte Pothmer.

Das Instrument der Arbeitsgelegenheit diene der Statistikbereinigung und nicht den Betroffenen. Auch der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, forderte, Ein-Euro-Jobs dürften nicht beliebig vergeben werden und zur Verdrängung regulärer Arbeit führen. Sie müssten wie alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente zielgenau eingesetzt werden. Die Kritik des Rechnungshofes bestätige daher die Notwendigkeit der Prüfung und Verbesserung aller arbeitsmarktpolitischen Instrumente.

Die Kommunen stellten sich dagegen hinter die öffentlich geförderte Beschäftigung. Generalkritik an den Ein-Euro-Jobs sei nicht gerechtfertigt. Viele der 320.000 Betroffenen seien froh, wenigstens vorübergehend eine Beschäftigung zu haben, die entlohnt wird, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dieser Zeitung. „Das gibt Selbstwertgefühl, selbst dann, wenn dadurch nicht unmittelbar der Weg in den ersten Arbeitsmarkt gefunden wird.“

Ähnlich äußerte sich auch Anja Kettner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Sicherlich gebe es Verdrängungsrisiken, sagte die Arbeitsmarktexpertin. „Wir sollten Ein-Euro-Jobs aber nicht abschaffen.“ Arbeitsgelegenheiten machten Sinn für Langzeitarbeitslose, die dadurch der Arbeitswelt und dem Berufsalltag wieder näher gebracht werden könnten. „Das hat auch mit sozialer Integration und Teilhabe zu tun“, betonte Kettner und ergänzte: „Wir brauchen aber eine gezieltere Vergabe und eine bessere Kontrolle.“

Quelle: welt.de – 15.11.2010 – Stefan von Borstel
Link zum Pressebericht: www .welt.de/politik/deutschland/article10947904/Rechnungshof-rechnet-mit-Ein-Euro-Jobs-ab.html

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