XII ZR 148/09 – Kinder zahlen für ihre Eltern

Sohn muss Geld für Pflegeheim seiner Mutter erstatten, obwohl sie ihn früher bloß schlecht versorgt hatte

Karlsruhe – Kinder müssen für ihre pflegebedürftigen Eltern auch dann aufkommen, wenn sie sich mit ihnen überworfen und seit Jahren keinen Kontakt haben. Auch bei einem zerrütteten Verhältnis zu den Eltern müssten sich die Kinder an den Kosten für das Pflegeheim beteiligen, hieß es in der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH). Die Sozialämter müssten die Kosten für das Heim nicht alleine übernehmen.

Die Richter gaben damit dem Sozialamt Bottrop recht, das von einem 49-jährigen Mann 701 Euro monatliche Kostenbeteiligung für das Pflegeheim seiner schizophrenen Mutter gefordert hatte.

Der Mann war schon in Kindertagen nur lückenhaft von seiner Mutter versorgt worden. Die an Wahnideen leidende, 1935 geborene Frau musste mehrmals längerfristig in Krankenhäuser. Außerdem litt sie an Antriebsschwäche. Der Vater ließ sich 1973 von seiner kranken Frau scheiden, wenige Jahre später brach auch der Kontakt zum Sohn ab. Seit 37 Jahren sieht er seine Mutter so gut wie nicht mehr. Vor mehr als fünf Jahren, im April 2005, kam sie in ein Pflegeheim. Rente und Grundsicherung der 75-jährigen Seniorin decken die Kosten nicht, die Sozialhilfe muss zuzahlen.

Nun will die öffentliche Hand Unterhalt vom Sohn – und den muss er nach dem BGH-Urteil vom Mittwoch auch bezahlen. Er wollte sich dagegen wehren und verwies darauf, dass ihn seine Mutter als Kind nie gut behandelt hatte. Aber das Oberlandesgericht (OLG) in Hamm hatte ihn zur Zahlung verpflichtet. Dieses Urteil wurde jetzt in letzter Instanz vom BGH bestätigt.

Die Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Dort, im Paragraf 1611, stehen auch die Ausnahmen. Danach entfallen Unterhaltszahlungen nur, wenn ein Bedürftiger früher seine eigenen Unterhaltspflichten „vorsätzlich vernachlässigt oder sich vorsätzlich schweren Verfehlungen (…) schuldig gemacht hat“. Typische Beispiele sind hier Väter, die weder Kontakt zu ihrem Kind aufnahmen und Unterhalt entweder gar nicht oder unregelmäßig bezahlten. Dass ihre Kinder später für sie aufkommen sollen, nennt das Gesetz „unbillig“. Je nach Härtegrad des früheren elterlichen Fehlverhaltens können die Zahlungen des Abkömmlings gesenkt werden oder ganz wegfallen.

Nur bei Vorsatz
Die Betonung im Gesetz liegt aber auf „vorsätzlichen Verfehlungen“. Und diese sah der BGH, wie schon zuvor das OLG Hamm, im Falle der schizophrenen Mutter nicht. Sie hatte ihr Kind krankheitsbedingt nicht versorgt, beziehungsweise nicht versorgen können. Die Schizophrenie der Mutter stelle aber keine Verfehlung dar, sondern sei schicksalhaft.

Dass der Familiensenat des BGH hier Abkömmlinge über Gebühr strapaziere, die durch einen kranken Elternteil sowieso schon viel erleiden mussten, wäre jedoch zu kurz gegriffen. Vor drei Monaten entschied derselbe BGH-Senat, dass Eltern eines erwachsenen behinderten Kindes Unterhalt für den im Heim lebenden Jungen bezahlen müssen. Die Eltern wollten geltend machen, dass ihr Sohn dreimal gewaltsam in ihr Haus eingestiegen sei, um sich persönliche Sachen zu holen. Diese Verfehlung stuften die Richter als nicht sehr gravierend ein, jedenfalls nicht als so hoch, dass damit Unterhaltszahlungen von weniger als 50 Euro pro Monat entfallen könnten.

Übrigens können Eltern auch Jugendsünden nicht zum Anlass nehmen, um einem volljährigen Kind den Unterhalt wegen Unbilligkeit zu versagen. Verfehlungen vor dem 18. Lebensjahr werden von der Rechtsprechung in der Regel verziehen.

Aktenzeichen: Bundesgerichtshof XII ZR 148/09

Quelle: fr-online.de – 15.09.2010 – Ursula Knapp
Link zum Pressebericht: www .fr-online.de/politik/kinder-zahlen-fuer-ihre-eltern/-/1472596/4647718/-/index.html

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