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Hartz-IV-Empfänger schwer zu vermitteln

Mittwoch, März 11th, 2009

Politiker-Praktikum in den Hartz-IV-Agenturen: Wo hakt es, fragten gestern 26 SPD-Abgeordnete. Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Eine Studie belegt, dass fast die Hälfte aller Hartz-IV-Empfänger seit 2005 keine Arbeit gefunden hat.
Ein Neubau in der Bundesallee, zweiter Stock, in einem kleinen Büro: Ein Mitarbeiter blickt auf die elektronische Akte auf seinem Bildschirm und seufzt. Er dreht sich zum „Kunden“, wie die Empfänger von Sozialleistungen in der Behörde neuerdings heißen: „Warum haben Sie die Maßnahme denn abgebrochen?“ Der Mann mit den strubbeligen, grauen Haaren beugt sich vor: „Na die MAE war anders, als Sie mir vorher gesagt hatten“, sagt er. MAE gehört ebenfalls zum neuen Stütze-Vokabular und steht für Mehraufwandsentschädigung, im Volksmund auch Ein-Euro-Job genannt. Der Kunde habe einen Hausmeisterposten in einem Kindergarten erwartet. Seine Stimme überschlägt sich fast: „Stattdessen sollte ich dort basteln.“

Der Mann leidet an Gelbsucht und anderen Spätfolgen seines jahrelangen Drogenkonsums. Mit seinem Vorstrafenregister und Methadon-Programm gehört der Kunde zu den hoffnungslosen Fällen im Jobcenter Wilmersdorf-Charlottenburg. Vielleicht ist es ihm deswegen egal, dass diesmal eine Politikerin seiner Besprechung beiwohnt. Ülker Radziwill von der SPD besucht gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Christian Gaebler das Wilmersdorfer Jobcenter. Insgesamt 26 SPD–Politiker sehen sich am Dienstag in den Einrichtungen um. Sie wollen einen persönlichen Eindruck von den Problemen bei der Vermittlung von Hartz-IV-Kunden in den Arbeitsmarkt gewinnen.

Der Zeitpunkt für das Politiker-„Praktikum“ in den Hartz-Agenturen passt gut. Am Montag belegte eine Studie: Fast die Hälfte aller Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Deutschland hat es seit 2005 nicht in den Arbeitsmarkt geschafft. Bei ihrem Besuch erhielten die Berliner Sozialdemokraten nun die Möglichkeit, Mitarbeiter der Behörden direkt zu fragen, wo die Probleme mit den Langzeitarbeitslosen liegen. So auch Radziwill nach dem beobachteten Fall. „Wie fahren Sie denn nun fort?“, fragt sie den Mann hinter dem Schreibtisch. Der Mitarbeiter seufzt. Im Mai gäbe es eine neue Maßnahme, aber die sei „eigentlich für stabilisierte Leute“, die also schon weiter sind als der Kunde von eben. Er scheint selber ratlos zu sein. „Die ganzen Langzeitkarrieren aus dem alten Sozialamt sind nun eben bei uns“.

Beim Gespräch mit Fachbereichsleitern werden andere Probleme deutlich, wie etwa der Personalschlüssel: Vorgesehen sind 150 Antragsteller auf einen Vermittler. In der Realität der Jobcenter sind es jedoch 200 bis 400 „Kunden“, die ein Mitarbeiter in der Regel betreuen muss. Dementsprechend groß seien auch die Rückstände in der Bearbeitung der Anträge und des Datenabgleichs mit anderen Behörden. Wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion von Januar hervorgeht, handelt es sich um rund 150 000 Briefe, die auf den Schreibtischen der Jobcenter unbearbeitet Staub ansetzen. Hinzu kommt die hohe Anzahl der Bescheide, die von den Gerichten als fehlerhaft kassiert werden. „Die Fluktuation unter den Mitarbeitern ist hoch“, erklärt Geschäftsführer Johannes Langguth. Außerdem sei es nicht leicht, bei jährlich über 100 000 Bescheiden keine Fehler zu machen. Die 39 neuesten Änderungen in der Hartz-IV-Gesetzgebung wären da auch nicht gerade hilfreich.

Quelle: tagesspiegel.de – 11.03.2009 – Von Ferda Ataman
Link zum Pressebericht: www .tagesspiegel.de/berlin/Hartz-IV;art270,2748776

Hartz IV und Gutscheinvergabe

Dienstag, März 10th, 2009

Immer wieder kommt es vor, dass Gutscheine anstatt Bargeld an Hartz IV Betroffene ausgegeben werden
Der Lebensmittelgutschein ist zwar aus Papier, wird aber letztlich dennoch in Form von Geld bei der ARGE verbucht. Geld, das zumal nach Lage der Dinge nicht der ARGE, nicht dem Sachbearbeiter, sondern einzig dem ALG II Betroffenen zustehen dürfte. Selbst wenn die Antragsbearbeitung (ALG II) im Nachhinein feststellen sollte, dass der Hartz IV Betroffene (wider Erwarten) nicht leistungsberechtigt ist, ändert das nichts an der Tatsache. Im Zweifel muss immer die unmittelbare Hilfe, der unmittelbaren Notlage gegenüber gestellt werden.

Ein Gutschein jedoch ist keine gute Hilfe, da er den Betroffenen punktuell entmündigt und ihn – trotz unverschuldeter Notlage – öffentlich stigmatisiert. Sofern der Sachbearbeiter behauptet, Bargeld sei nicht möglich, gilt es zu hinterfragen, warum dies so ist. Es ist der bequemere und auch effektivere Weg, Menschen zu entwürdigen und gefügig zu machen. Ist dies möglicher Weise der eigentlich beabsichtigte Grund?

Die Erfahrungen der KEAs im Rahmen zahlreicher Begleitungen von Betroffenen belegen, dass tatsächlich häufig ein solcher (Not-)Fall mit dem Gutschein erledigt werden soll. Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass es in aller Regel immer auch möglich ist, den Sachbearbeiter davon zu überzeugen, dass er sehr wohl Bargeld geben kann/ darf/muss und er dies letztlich auch tut.
Ein mieses Spiel, bei dem der Sachbearbeiter seine Würde in jedem Fall schneller verliert, als der betroffene Erwerbslose. (nau)

Rechtlich ist es bei der Ausgabe von Gutscheinen folgermaßen: Lebensmittelgutscheine dürfen nur nach den §§
23(2) und 31(3) SGB II ausgegeben werden. Also: Nur bei nachgewiesenem unwirtschaftlichen Verhalten und bei Sanktionen ab 30 Prozent. Sonst nicht!

Quelle: gegen-hartz.de – 07.03.2009 – aus Die Keas
Link zum Pressebericht: www .gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/gutschein760321.php

Ein Recht auf 50 Quadratmeter München

Mittwoch, März 4th, 2009

Bundessozialgericht: Auch in teuren Großstädten steht Hartz-IV-Empfängern nicht weniger Wohnfläche zu
Muss sich ein Langzeitarbeitsloser in einer Großstadt wie München, wo die Mieten hoch sind, mit weniger Wohnfläche zufrieden geben als ihm nach landesrechtlichen Vorschriften in Bayern zuständen? Die für den Vollzug der Hartz-IV-Gesetze zuständige Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München (Arge) hatte ihre niedriger angesetzte Grenze damit begründet, dass aufgrund der überdurchschnittlich hohen Immobilienpreise in München auch Menschen mit gutem Einkommen in der Landeshauptstadt mit kleineren Wohnungen, als anderswo bezahlbar wären, vorlieb nehmen müssen.

Diesem durchaus nachvollziehbaren Argument aber vermochte der 4. Senat des Bundessozialgerichts nicht zu folgen und verwies die Klage eines Betroffenen zur erneuten Verhandlung zurück ans Landessozialgericht. Die Arge will erst die schriftliche Begründung abwarten, bevor sie Konsequenzen für die Übernahme von Mietkosten zieht.

Ein 63-jähriger alleinstehender Langzeitarbeitsloser, der eine 56 Quadratmeter große Mietwohnung mit zwei Zimmern bewohnt, bekam zunächst die Kaltmiete in Höhe von 521,52 Euro von der Arge bezahlt. Doch nach Auffassung der Arge war diese Miete insgesamt zu hoch. Im Sozialgesetzbuch II ist festgelegt, dass die Arge “Leistungen für Unterkunft und Heizung” nur in der Höhe bezahlen darf, wie sie “angemessen” ist. Höhere Beträge dürfen nur übernommen werden, so lange es dem Betroffenen nicht möglich oder zumutbar ist, die Kosten zu senken, “in der Regel jedoch längstens für sechs Monate”, heißt es im Gesetz.

Die Arge forderte den Mann deshalb auch auf, sich um eine Senkung der Mietkosten zu bemühen, etwa indem er sich eine neue, billigere Wohnung oder einen Untermieter sucht. Weil der Mann entsprechende Bemühungen nicht ausreichend belegt hat, kürzte die Arge nach sechs Monaten schließlich die für die Miete ausbezahlte Leistung um rund 92 Euro. Nach Auffassung der Arge stünden dem alleinstehenden Mann maximal 45 Quadratmeter Wohnfläche zu. In erster Instanz bekam die Arge Recht.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts kritisierte nun aber in deutlichen Worten, dass die “angemessene Wohnungsgröße” nicht in einer Verordnung bundesweit einheitlich festgelegt ist (Az: B 4 AS 30/08 R). Bei der Bestimmung der angemessenen Größe sei mangels anderer Anhaltspunkte deshalb “bis auf Weiteres von den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften zur Wohnraumförderung auszugehen”, verlangt das Bundessozialgericht. Nach den in Bayern gültigen Verwaltungsvorschriften gilt für Alleinstehende eine Sozialwohnung mit bis zu 50 Quadratmetern Wohnungsgröße als angemessen. “Die generelle Beschränkung auf 45 Quadratmeter seitens der Arge München widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts”, urteilte der Senat.

Dennoch erging keine abschließende Entscheidung in dem Rechtsstreit. Dem Landessozialgericht gab der Senat auf, zu ermitteln, welcher Quadratmeterpreis für Wohnungen im unteren Mietsegment angemessen ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind Wohnungskosten bei Arbeitslosengeld-II-Empfängern dann insgesamt als “angemessen” einzuschätzen, wenn die Kosten nicht mehr betragen als das Ergebnis der Multiplikation von angemessener Wohnfläche (also 50 Quadratmeter) mit dem ortsüblichen Quadratmeterpreis. Für den Einzelfall bedeutet dies, dass es für die beiden Faktoren keine starren Grenzen gibt: Ein paar Quadratmeter mehr müssen also nicht unbedingt zur Kürzung seitens der Arge führen – falls dies im Endeffekt durch einen entsprechend niedrigeren Quadratmeterpreis ausgeglichen wird.

Quelle: sueddeutsche.de – 23.02.2009 – Von Sven Loerzer
Link zum Pressebericht: www .sueddeutsche.de/753382/034/2770013/Ein-Recht-auf-50-Quadratmeter-Muenchen.html