Koalition erhöht Hartz IV um fünf Euro

Regelsatz steigt auf 364 Euro – Alkohol und Tabak nicht mehr Grundbedarf – Gabriel: Merkel lässt sich erpressen

Berlin – Die Koalition ist sich einig: Hartz IV wird um fünf Euro erhöht. Somit steigt für 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger der monatliche Regelsatz auf 364 Euro. Darauf verständigten sich die Spitzen der Koalition im Kanzleramt. Tabak und Alkohol sollen aus der Berechnung herausfallen, ein Internetzugang wird dagegen berücksichtigt. Der Gesetzentwurf soll am 20. Oktober vom Kabinett verabschiedet werden. Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften kritisieren die Erhöhung als zu niedrig, die Opposition droht mit einer Verfassungsklage.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die Neuberechnung als Schritt zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit. Es handele sich um eine Entscheidung auf der Basis “sehr sachbezogener, rationaler Berechnungsmethoden”, sagte Merkel. “Wir sind hier einen sehr, sehr großen Schritt gegangen.” Das Hauptaugenmerk liege darauf, “die Dauer von Hartz IV so kurz wie möglich zu halten”. Ziel sei, Anreize für Arbeit zu schaffen. “Langzeitarbeitslosigkeit darf kein Lebensschicksal sein.” FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von einer “Brücke ins Arbeitsleben”.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warnt die SPD vor einer Blockade der Neuregelungen im Bundesrat. Von der Leyen begründete außerdem, warum Ausgaben für Alkohol und Tabak bei der Neuberechnung nicht mehr berücksichtigt werden sollen. Hartz IV solle das Existenzminimum sichern. “Das sind Genussmittel, die nicht existenzsichernd sind”, sagte sie. Als Ersatz für Alkohol und Tabak gibt es 2,99 Euro mehr für Mineralwasser.

Die Sätze für Kinder bleiben auf der jetzigen Höhe von 215, 251 und 287 Euro – je nach Alter bis unter sechs Jahren, unter 14 Jahren sowie unter 18 Jahren. Die Neubemessung der Leistung hat rein rechnerisch überraschend ergeben, dass die Sätze für Kinder und Jugendliche eigentlich um zwei bis zwölf Euro gesenkt werden müssten. Dazu sagte Ursula von der Leyen: “Es hat mich überrascht und auch sprachlos gemacht.
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Es werde aber einen “Vertrauensschutz” für die Familien geben, die Hartz IV beziehen. Deshalb würden die Regelsätze für Kinder nicht gesenkt. “Sie haben sich auf dieses Niveau eingerichtet. Und deshalb werden die Kinderregelsätze unangetastet bleiben.” Sie verweist darauf, dass ab Januar die Kinder zusätzlich das neue “Bildungspaket” erhalten – “mit dem warmen Schulmittagessen, der Förderung für Sport oder Musik am Nachmittag in den Vereinen, der Lernförderung falls nötig sowie dem Schulmaterial und eintägigen Klassenausflügen”.

Die Koalition ist sich noch nicht einig über eine Neuregelung der Zuverdienstregeln für Hartz-IV-Empfänger. Die Entscheidung sei bis Ende Oktober verschoben worden, hieß es aus Koalitionskreisen.

SPD und Grüne, die im Zuge der Agenda-2010-Reformen Hartz IV eingeführt hatten, drohen der Regierung mit einer Verfassungsklage. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wirft Merkel vor, sie ließe sich “von FDP-Chef Guido Westerwelle dazu erpressen, das Bundesverfassungsgericht zu missachten”. Dieser habe im Frühjahr Hartz-IV-Empfänger verhöhnt und könne es deshalb nicht zulassen, dass die Regelsätze deutlich aufgestockt werden, sagte Gabriel auf dem SPD-Parteitag in Berlin. “Merkel macht dieses schäbige Spiel mit.” Westerwelle hatte im Februar in einem Gastbeitrag für die WELT geschrieben: “Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.”

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast moniert: “Die Würde des Menschen ist mehr als fünf Euro wert. Die Klientel bedienen und der sozialen Gerechtigkeit ins Gesicht schlagen, das ist heute Schwarz-Gelb.”

Die Neuberechnung hatte das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar erzwungen. Die Berechnungsgrundsätze bemängelten die Richter als intransparent und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Der damalige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier sagte: “Die Regelleistungen sowohl des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene als auch des Sozialgeldes für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres genügen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht.”

In Deutschland beziehen insgesamt 6,7 Millionen Menschen Hartz IV.

Quelle: welt.de – 27.09.10 – DW
Link zum Pressebericht: www .welt.de/die-welt/politik/article9895148/Koalition-erhoeht-Hartz-IV-um-fuenf-Euro.html

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