Jetzt wird Hartz IV richtig auseinandergenommen

Die Höhe der Sätze, die Berechnung, der Einsatz von Gutscheinen: Politik und Experten streiten über Hartz IV.

Der Streit über die Neuberechnung von Hartz IV geht weiter – und das in mehrfacher Hinsicht. Denn gestritten wird nicht nur über die Höhe der künftigen Regelsätze, sondern auch über die Berechnungsgrundlage und die Frage, ob Kinder aus Hartz-IV-Haushalten „Bildungsgutscheine“ erhalten sollen.

In der schwarz-gelben Koalition formiert sich Widerstand gegen eine Anhebung der Regelsätze. „Hartz IV darf nicht attraktiver werden als Arbeit“, sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) der „Bild“-Zeitung. Die Konsolidierung des Staatshaushalts dürfe dadurch nicht gefährdet werden. Auch der FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb warnte angesichts der geplanten Neuberechnung vor höheren Lasten für den Bundeshaushalt.

Der SPD-Vizevorsitzende und frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz forderte hingegen eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eindeutig“, sagte Scholz WELT ONLINE. „Die Erhöhung der Regelsätze ist aufgrund der jetzt vorliegenden Einkommens- und Verbraucherstichprobe und der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwingend.“ Die konkreten Umsetzungspläne der Bundesregierung müssten nun bald auf den Tisch: „Sie sind allmählich überfällig.“

Arbeitsmarktexperten beurteilen eine Erhöhung der Regelsätze hingegen skeptisch: „Geld durch Arbeit zu verdienen wird unattraktiver, wenn die Höhe der Transferbezüge steigt – darüber muss man sich klar sein“, sagte Holger Schäfer, Arbeitsmarktforscher beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln, WELT ONLINE. Ebenso könnte eine Anpassung der Hartz-IV-Sätze an die Inflationsrate nach Ansicht des Wissenschaftlers diesen Effekt haben: „Wenn ich Hartz IV an die Inflation ankoppele, führt das in Zeiten mit einer negativen Lohnentwicklung dazu, dass der Lohnabstand zwischen der alternativen Erwerbsarbeit und den Transferbezügen sinkt und Letzteres dadurch attraktiver wird.“ Empfehlenswert sei daher, die Hartz-IV-Sätze an der Lohnentwicklung festzumachen.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elke Ferner hatte im „Handelsblatt“ gefordert, die Hartz-IV-Regelsätze an die Inflation anzupassen. Sie sollten künftig „wie die Lebenshaltungskosten unterer Einkommensbezieher steigen“. Eine Orientierung nur an der Nettolohnentwicklung werde dagegen zur nächsten Verfassungsklage führen, sagte Ferner.

Ausgelöst hatte die aktuelle Diskussion ein Bericht des Magazins „Der Spiegel“, dem zufolge die Regelsätze für Erwachsene nach vorläufigen Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums künftig deutlich höher ausfallen könnten. Sie könnten je nach Berechnungsmethode bei bis zu 400 Euro liegen. Derzeit beträgt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen 359 Euro. Auch solle die Entwicklung der Hartz-IV-Bezüge dann von der Inflation und den Nettolöhnen abhängen, berichtete der „Spiegel“. Bislang orientierte sich der Regelsatz an der Rentenentwicklung.

Das Ministerium wies solche Spekulationen zurück. Derzeit gebe es keinerlei Aufschluss darüber, dass die Regelsätze für Erwachsene an diese Marke heranreichen könnten, sagte ein Sprecher von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in Berlin. Unklar ist nach den Worten des Sprechers auch noch, nach welchem Parameter die Sätze künftig angepasst werden. In der Debatte sei eine Koppelung aus „Inflation, Lohnentwicklung und laufender Wirtschaftsrechnung“.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar die seit 2005 geltenden Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder für verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung bis zum 1. Januar nächsten Jahres gefordert.

Ebenfalls umstritten ist das Vorhaben von Ursula von der Leyen, ein Gutscheinsystem für Kinder aus Hartz-IV-Haushalten einzurichten. Diese könnten dann über Gutscheine oder aufladbare Chipkarten Bildungsangebote wie Nachhilfe oder Musikschule in Anspruch nehmen. Die Interessenorganisation Erwerbslosenforum lehnt ein solches System als „diskriminierend“ ab.

Durch die „entwürdigenden Gutscheine“ lernten die Kinder schon sehr früh, dass sie sich jederzeit für die Armut ihrer Eltern schämen müssten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband lobte hingegen die Idee. Nach Informationen von WELT ONLINE sollen die Bildungsgutscheine für Kinder zusätzlich zu den neu berechneten Hartz-IV-Sätzen ausgegeben werden, nicht als Teil davon. Finanziert werden sollen sie nicht aus dem Etat des Bundesarbeitsministeriums, sondern aus dem Zwölf-Milliarden-Euro-Topf, den das Bundesbildungsministerium in dieser Legislatur zusätzlich für Bildung und Forschung erhalten hatte.

Quelle: welt.de – 02.08.2010 – Von Miriam Hollstein
Link zum Pressebericht: www .welt.de/politik/deutschland/article8779864/Jetzt-wird-Hartz-IV-richtig-auseinandergenommen.html

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