SGB 2 – Kapitel 4
(Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954)
Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) – Kapitel 4 – Gemeinsame Vorschriften für Leistungen
Abschnitt 1 – Zuständigkeit und Verfahren
§ 36 Örtliche Zuständigkeit
Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ist der kommunale Träger zuständig, in dessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht feststellbar, so ist der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige tatsächlich aufhält.
§ 36a Kostenerstattung bei Aufenthalt im Frauenhaus
Sucht eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht, ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten.
§ 37 Antragserfordernis
(1) Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden auf Antrag erbracht.
(2) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Treten die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag ein, an dem der zuständige Träger von Leistungen nach diesem Buch nicht geöffnet hat, wirkt ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück.
§ 38 Vertretung der Bedarfsgemeinschaft
Soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, wird vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten desjenigen, der die Leistungen beantragt.
§ 39 Sofortige Vollziehbarkeit
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
2.
der den Übergang eines Anspruchs bewirkt,
3.
mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung oder
4.
mit dem nach § 59 in Verbindung mit § 309 des Dritten Buches zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird,
haben keine aufschiebende Wirkung.
§ 40 Anwendung von Verfahrensvorschriften
(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. 2Die Vorschriften des Dritten Buches über
1.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Abs. 1, 2, 3 Satz 1 und 4),
1a.
die vorläufige Entscheidung (§ 328),
2.
die vorläufige Zahlungseinstellung (§ 331) und
3.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Abs. 1, 2 und 5)
sind entsprechend anwendbar.
(2) Abweichend von § 50 des Zehnten Buches sind 56 vom Hundert der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 und 3 sowie § 28 berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten. Satz 1 gilt nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 des Zehnten Buches, des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird.
(3) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.
§ 41 Berechnung der Leistungen
(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht. Die Leistungen sollen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden. Der Bewilligungszeitraum kann auf bis zu zwölf Monate bei Berechtigten verlängert werden, bei denen eine Veränderung der Verhältnisse in diesem Zeitraum nicht zu erwarten ist.
(2) Beträge, die nicht volle Euro ergeben, sind bis zu 0,49 Euro abzurunden und von 0,50 Euro an aufzurunden.
§ 42 Auszahlung der Geldleistungen
Geldleistungen nach diesem Buch werden auf das im Antrag angegebene inländische Konto bei einem Geldinstitut überwiesen. Werden sie an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten übermittelt, sind die dadurch veranlassten Kosten abzuziehen. Dies gilt nicht, wenn der Berechtigte nachweist, dass ihm die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich ist.
§ 43 Aufrechnung
Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Der befristete Zuschlag nach § 24 kann zusätzlich in die Aufrechnung nach Satz 1 einbezogen werden. Die Aufrechnungsmöglichkeit ist auf drei Jahre beschränkt.
§ 44 Veränderung von Ansprüchen
Die Träger von Leistungen nach diesem Buch dürfen Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Abschnitt 2 – Einheitliche Entscheidung
§ 44a Feststellung von Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit
(1) Die Agentur für Arbeit stellt fest, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Sofern
1.
der kommunale Träger,
2.
ein anderer Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre oder
3.
die Krankenkasse, die bei Erwerbsfähigkeit Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen hätte,
der Feststellung widerspricht, entscheidet die gemeinsame Einigungsstelle; der Widerspruch ist zu begründen. Bis zur Entscheidung der Einigungsstelle erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
(2) Entscheidet die gemeinsame Einigungsstelle, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht, steht der Agentur für Arbeit und dem kommunalen Träger ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 des Zehnten Buches zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zuerkannt wird. § 103 Abs. 3 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Leistungsverpflichtung des Trägers der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe der Tag des Widerspruchs gegen die Feststellung der Agentur für Arbeit ist.
§ 44b Arbeitsgemeinschaften
(1) Zur einheitlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch errichten die Träger der Leistungen nach diesem Buch durch privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Verträge Arbeitsgemeinschaften. Befinden sich im Bereich eines kommunalen Trägers mehrere Agenturen für Arbeit, ist eine Agentur als federführend zu benennen. Die Ausgestaltung und Organisation der Arbeitsgemeinschaften soll die Besonderheiten der beteiligten Träger, des regionalen Arbeitsmarktes und der regionalen Wirtschaftsstruktur berücksichtigen.
(2) Die Geschäfte der Arbeitsgemeinschaft führt ein Geschäftsführer. Er vertritt die Arbeitsgemeinschaft außergerichtlich und gerichtlich. Können die Agentur für Arbeit und die Kommunen sich die bei der Errichtung der Arbeitsgemeinschaft nicht auf ein Verfahren zur Bestimmung des Geschäftsführers einigen, wird er von der Agentur für Arbeit und den Kommunen abwechselnd jeweils für ein Jahr einseitig bestimmt. Das Los entscheidet, ob die erste einseitige Bestimmung durch die Agentur für Arbeit oder die Kommunen erfolgt.
(3) Die Arbeitsgemeinschaft nimmt die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach diesem Buch wahr. Die kommunalen Träger sollen der Arbeitsgemeinschaft die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Buch übertragen; § 94 Abs. 4 in Verbindung mit § 88 Abs. 2 Satz 2 des Zehnten Buches gilt nicht. Die Arbeitsgemeinschaft ist berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide zu erlassen. Die Aufsicht über die Arbeitsgemeinschaft führt die zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
(4) Die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger teilen sich alle Tatsachen mit, von denen sie Kenntnis erhalten und die für die Leistungen des jeweils anderen Trägers erheblich sein können.
(5) (weggefallen)
Fußnote § 44b: Nach Maßgabe der Entscheidungsformel mit GG unvereinbar gem. BVerfGE v. 20.12.2007; 2008 I 27 – 2 BvR 2433/04 – u. – 2 BvR 2434/04 -
§ 45 Gemeinsame Einigungsstelle
(1) Der gemeinsamen Einigungsstelle gehören ein Vorsitzender und jeweils ein Vertreter der Agentur für Arbeit und des Trägers nach § 44a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 2 an, der der Feststellung der Agentur für Arbeit widerspricht. Widerspricht die Krankenkasse, die bei Erwerbsfähigkeit Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen hätte, gehört der gemeinsamen Einigungsstelle auch der Leistungsträger nach § 44a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 an. Die Krankenkasse kann die gemeinsame Einigungsstelle anrufen und an ihren Sitzungen teilnehmen. Der Vorsitzende wird von beiden Trägern gemeinsam bestimmt. Einigen sich die Träger nicht auf einen Vorsitzenden, ist Vorsitzender für jeweils sechs Monate abwechselnd ein Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit und der Leiter des Trägers der anderen Leistung.
(2) Die gemeinsame Einigungsstelle soll eine einvernehmliche Entscheidung anstreben. Sie zieht im notwendigen Umfang Sachverständige hinzu und entscheidet mit der Mehrheit der Mitglieder. Die Sachverständigen erhalten Entschädigungen nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen. Die Aufwendungen trägt der Bund. Die gemeinsame Einigungsstelle kann in geeigneten Fällen bei der Begutachtung der Erwerbsfähigkeit von Arbeitsuchenden den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (§ 275 des Fünften Buches) als Sachverständigen hinzuziehen.
(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung Grundsätze zum Verfahren für die Arbeit der gemeinsamen Einigungsstelle zu bestimmen.